Was tun, wenn Projekte nicht mehr zu retten sind?
Extremfall: Projekt scheitern lassen - Tipps für den souveränen Absturz
Projektleiter lieben das Risiko
Was aber tun, wenn der Extremfall eintritt und ein Projekt kaum noch zu retten ist? Oder besser gesagt, es nicht in den Griff zu bekommen ist? Gute Projektleiter:innen sind auf den Extremfall »Projekt scheitern lassen« vorbereitet und beherrschen den souveränen Absturz. Was dazugehört, verrät der führende Business-Coach und Management Trainer Henryk Lüderitz.
Schuld hat immer der Projektleiter
Am Ende des Tages gibt es Projekte, die nicht mehr zu retten sind. Trotz guter Vorbereitung und vollem Einsatz. Was tun, wenn der Overkill droht und der Absturz schon in Sicht ist? Die »Kopf-in-den-Sand-Taktik« ist bestimmt verlockend, aber keine echte Alternative. Mit einem gescheiterten Projekt sind viele Unannehmlichkeiten verbunden, die weit über das Chaos auf der Arbeitsebene hinausgehen. Vertragsstrafen, nicht verlängerte Verträge für Projektmitarbeiter:innen, Krisenmeetings mit der Geschäftsführung, usw.
Das Schlimmste daran ist, dass ALLE dabei in Richtung des Projektleiters schauen. Wer Projekte leiten will, sollte sich des Risikos für die eigene Karriere bewusst sein. Das Ungerechte an der Verurteilung des Projektleiters ist, dass er selbstverständlich nicht an ALLEM Schuld sein kann. Projekte sind riskant und können trotz guter Arbeit scheitern. Hören will das aber keiner, wenn der Karren krachend vor die Wand fährt. Wie du als Projektleiter möglichst unbeschadet ein Projekt scheitern lässt, zeigen wir dir hier.
Team einschwören – Fahnenflucht vermeiden
Ist ein Projekt nicht mehr zu retten, sind die ersten Anzeichen dafür bereits mehrere Wochen vor dem harten Aufschlag zu erkennen. Letzte Rettungsversuche sind bereits gescheitert, die Stimmung im Projektteam sinkt und jeder versucht, möglichst unbeschadet aus der Nummer herauszukommen. Die Mitarbeiter:innen ahnen das herannahende Chaos bereits und suchen Schutz in ihrer Linienaufgabe.
Henryk Lüderitz, Management Trainer und Business Coach mit jahrelanger Erfahrung als Projektleiter im Konzern: „Scheitern lässt sich nicht immer vermeiden. Entscheidend ist, wie man damit umgeht!“ Die Herausforderung für Projektleiter:innen besteht darin, gemeinsam mit dem Team ein sauberes Ende zu finden. Sprecht im Team-Meeting deshalb offen über die Lage und versucht gemeinsam eine tragbare „Exit-Strategie“ zu finden. Wichtig ist, auch das Scheitern gemeinsam zu bewältigen. Macht hierbei unbedingt deutlich, dass zusätzlich ein schlechtes Licht auf jeden Einzelnen fällt, wenn das Projekt fluchtartig verlassen wird und jeder seine persönlichen Gründe und Rechtfertigungen für den Misserfolg findet. Ein Projekt scheitern zu lassen, ist ein Extremfall. Gleichzeitig aber die Kontrolle über das Team zu verlieren, zeugt von geringen Führungsqualitäten.
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Wann ist das Pferd denn nun endlich tot?
Wann ein Projekt wirklich "tot" ist, lässt sich mit einem Augenzwinkern aus einer uralten Weisheit der Dakota-Indianer ableiten, die folgende Thesen für das Reiten von toten Pferden aufgestellt haben:
- Wir besorgen eine stärkere Peitsche.
- Wir wechseln die Reiter:innen.
- Wir sagen: 'So haben wir das Pferd doch immer geritten.'
- Wir gründen einen Arbeitskreis, um das Pferd zu analysieren.
- Wir besuchen andere Orte, um zu sehen, wie man dort tote Pferde reitet.
- Wir erhöhen die Qualitätsstandards für den Beritt toter Pferde.
- Wir bilden eine Taskforce, um das tote Pferd wiederzubeleben.
- Wir schieben eine Trainingseinheit ein, um besser reiten zu lernen.
- Wir stellen Vergleiche unterschiedlicher toter Pferde an.
- Wir ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot ist.
- Wir kaufen Leute von außerhalb ein, um das tote Pferd zu reiten.
- Wir schirren mehrere tote Pferde zusammen an, damit sie schneller werden.
- Wir erklären: 'Kein Pferd kann so tot sein, dass man es nicht doch motivieren könnte.'
- Wir machen zusätzliche Mittel locker, um die Leistung des Pferdes zu erhöhen.
- Wir machen eine Studie, um zu sehen, ob es billigere Berater:innen gibt.
- Wir kaufen etwas zu, dass tote Pferde schneller laufen lässt.
- Wir erklären, dass unser Pferd »besser, schneller und billiger« tot ist.
- Wir bilden einen Qualitätszirkel, um eine Verwendung für tote Pferde zu finden.
- Wir überarbeiten die Leistungsbeschreibung für tote Pferde.
- Wir richten eine unabhängige Kostenstelle für tote Pferde ein.
- Wir besuchen teure Seminare, um mehr über die Lebensgewohnheiten toter Pferde zu lernen.
- Wir tauschen das tote Pferd gegen eine tote Kuh aus.
- Wir beschäftigen externe Berater:innen, die erklären, wir müssten Personal entlassen, um das tote Pferd preiswerter zum Traben zu bringen.
- Wir outsourcen das tote Pferd. Der Subunternehmer kann es wahrscheinlich besser reiten.
- Wir malen PowerPoint-Folien, die präsentieren, was das Pferd könnte, wenn es denn leben würde.
- Wir erklären, dass ein totes Pferd von Anfang an unser Ziel war.
- Wir legen das tote Pferd bei jemand anderem in den Stall und behaupten, es sei seines.
- Wir bilden eine neue Abteilung und integrieren alle toten Pferde, um Synergien zu nutzen.
- Wir leugnen, jemals ein Pferd besessen zu haben.
- Wir wechseln den Pferdelieferanten.
- Wir suchen eine:n finanzstarke:n Partner:in und gründen zusammen mit dessen/deren toten Pferden ein Joint Venture.
- Wir bringen die toten Pferde unter einem fantasievollen Namen an die Börse.
- Wir nennen das tote Pferd »Dead Horse Power« und bieten es als neuestes Produkt auf dem zentralafrikanischen Markt an.
- Wir tauschen das tote Pferd gegen ein anderes totes Pferd aus, dass laut Prognose schneller läuft.
- Wir lassen den Stall renovieren.
- Wir schlagen dem Personalrat vor, Leistungsanreize für tote Pferde einzuführen.
- Wir starten einen internen Ideenwettbewerb zum Reiten toter Pferde.
- Wir weisen den/die Reiter:in an, sitzen zu bleiben, bis das Pferd wieder aufsteht.
- Wir überarbeiten die Dienstanweisung für das Reiten von Pferden.
Zwischenfazit: Ist das Pferd / Projekt wirklich tot, dann steigt besser schnell mit der richtigen Strategie ab!
Wie sieht eine gute Exit-Strategie aus?
Dass Projekte scheitern können, ist bekannt. Spätestens seit dem Bau des Berliner Flughafens weiß das jeder. Projektleiter:innen sind keine Götter, die politische Entscheidungen oder Umweltkatastrophen verhindern können. Trotzdem sind sie bis zum bitteren Ende für das Projekt verantwortlich.
Ein Projekt scheitern lassen - transparent und koordiniert
Selbst wenn ihr das Scheitern nicht verhindern könnt, erwarten Kunden, Kolleg:innen und Auftraggeber:innen zumindest Transparenz über die Entwicklung. Ein gescheiteres Projekt ist keine Glanzleistung. Es wird jedoch zum echten Karrieregrab, wenn der/die Projektleiter:in das Ende entweder nicht hat kommen sehen, oder gutgläubig und naiv bis zum letzten Tag versucht, es zu retten. Im schlimmsten Fall sogar ohne seinem/ihrem Umfeld von der kritischen Lage zu berichten. Von einem/einer guten Projektleiter:in wird verlangt, dass er/sie transparent kommuniziert und im richtigen Moment koordiniert die Reißleine zieht.
Wann erstelle ich meine Exit-Strategie?
Die Exit-Strategie darf nicht erst erstellt werden, wenn das Chaos bereits ausgebrochen ist. Jede:r Pilot:in oder Kapitän:in hat Abläufe und Checklisten für den Extremfall. Die werden nicht erstellt, wenn der Kahn sinkt. Es lohnt sich also, einen Notfallplan bereits in der Planungsphase zu entwickeln. In diesem Plan sind auch die klaren Kriterien enthalten, wann im Projekt auf den roten Knopf gedrückt wird. Diese Definition hilft einerseits gegenüber den Stakeholdern und gleichzeitig bei der projektinternen Diskussion. Wenn die Luft dünn wird, gehen die Meinungen im Projektteam gerne weit auseinander. Die einen wollen schon früh das Projekt scheitern lassen, andere wollen es künstlich am Leben halten.
Ursachenforschung & Maßnahmenpläne
Zuerst sollten im Team die Ursachen für den Misserfolg gesammelt und bewertet werden. Seitens des Managements sind viele Fragen nach dem warum und wieso zu erwarten. Außerdem gilt es, die bisherigen Maßnahmenpläne verständlich erklären zu können. Besonders die rechtzeitigen und konstruktiven Hinweise auf ein drohendes Projektende sollten dokumentiert sein.
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Folgeschäden vermeiden
Danach gilt es, Folgeschäden durch das Projektende zu vermeiden. Plane also genau, wer über das Projektende informiert werden muss, damit beispielsweise in anderen Unternehmensbereichen keine weiteren Projekt-Investitionen getätigt werden. Besonders gefragt ist in diesem Fall der juristische Rat von Expert:innen, denn es gilt Verträge zu beenden und eine »große Maschine« kontrolliert zum Stillstand zu bringen. Selbstverständlich ist das nicht. Mir sind in meiner Laufbahn als Projektleiter viele Alt-Projekte begegnet, die Jahre nach einem unkontrollierten Ende noch laufende Kosten verursacht haben!
Das Chaos aufräumen
Vorletzter Schritt der Exit-Strategie ist das Aufräumen. Stell dir das Projekt wie eine Baustelle vor. Wenn du es schon nicht geschafft hast, das Bauwerk zu errichten, dann räum das Feld wenigstens organisiert und gewissenhaft. Wenn neben dem gescheiterten Projekt noch ein riesiges Chaos zurückbleibt, entsteht ein zusätzlich negatives Image. Hier wird das unbeliebteste Projektthema wieder relevant, die Dokumentation. Im Rückbau oder einer Rückabwicklung werden Ressourcen frei, die nicht einfach im Nirgendwo verschwinden dürfen. Darin liegt sogar eine kleine Chance zur Ergebniskosmetik. Vielleicht lassen sich Elemente der bisherigen Arbeit verkaufen oder wiederverwenden.
Hallo Chef, ich habe fertig!
Im letzten Schritt steht der Gang nach Canossa an: Das Management informieren. Sind die oben genannten Punkte sorgfältig vorbereitet, werden in aller Regel nicht gleich Köpfe abgerissen. Kleiner Tipp für den richtigen Zeitpunkt: Ein Projekt scheitern zu lassen, ist eine emotionale Angelegenheit. Auch wenn der Chef bereits über die negative Entwicklung informiert ist, kann das finale Aus die Gemüter erhitzen. Wenn ihr am Donnerstag oder Freitag die schlechten Neuigkeiten überbringt, kann sich euer/eure Chef:in am Wochenende ein bisschen beruhigen.
Deine Erfahrungen
Wie ist deine Erfahrung mit gescheiterten Projekten? Hat der/die Projektleiter:in das sinkende Schiff koordiniert, evakuiert und verlassen? Oder ist großes Chaos ausgebrochen? Ich freue mich auf deine Reaktionen und Kommentare und ich wünsche wie immer gutes Gelingen mit deinen Projekten.
Beste Grüße
Henryk Lüderitz