Hinschauen und mutig ansprechen
Jetzt reicht's! Souverän auf Belästigung am Arbeitsplatz reagieren!
„Hallo Sweetheart!“ Auch wenn sich diese Worte freundlich und harmlos anhören, können sie mit der passenden Betonung und dem eindeutigen Blick schon zu einer Belästigung am Arbeitsplatz mutieren. Leider gehören solche und auch viel eindeutigere Kommentare und Handlungen (noch) zum Alltag in der Arbeitswelt. Schlimm genug, dass dem so ist und (hauptsächlich) Männer sich ihrem übergriffigen Verhalten nicht mal bewusst sind.
Noch erschreckender ist jedoch, wenn dieses Verhalten ganz bewusst gelebt wird, weil Mann auf eine eingeschüchterte oder peinlich berührte Verhaltensweise setzt und damit auch schon oft genug »durchgekommen« ist. Damit soll jetzt Schluss sein! Mit diesem Beitrag möchte ich Betroffenen die passenden Reaktionen an die Hand geben, um im Belästigungsfall souverän & mutig reagieren zu können. Gleichzeitig ist es mir wichtig, allgemein den blinden Fleck beim Thema Belästigung am Arbeitsplatz zu reduzieren. Jeder, auch unbeteiligte Dritte, ist bei diesem Thema zu Aufmerksamkeit und beherztem Eingreifen verpflichtet. Zumindest dann, wenn man seinem Spiegelbild mit gutem Gewissen in die Augen schauen möchte.
DU entscheidest, wo Belästigung am Arbeitsplatz für DICH beginnt
Wer bei »Belästigung am Arbeitsplatz« gleich an körperliche Übergriffe denkt, liegt falsch. Bereits weit unter diesem Niveau sind endlos viele Situationen möglich, die eine Person als Belästigung oder schlicht als unangenehm empfindet. Und genau diese Grenze gilt es für sich selbst, aber auch für dein Gegenüber zu respektieren. Wenn ich als Coach, Management-Trainer und aktive Führungskraft gefragt werde, wo denn Belästigung anfängt, gibt es aus meiner Sicht nur eine richtige Antwort: Sie beginnt dann, wenn für DICH etwas unangenehm oder zu viel ist!
Belästigung am Arbeitsplatz hat viele Gesichter
Bleiben wir dabei, dass die persönliche Empfindung einer Situation darüber entscheidet, ob eine (empfundene) Belästigung vorliegt. Vor diesem Hintergrund ist das Thema der empfundenen Belästigung auch in einer Seminargruppe von mir aufgekommen. Nachdem wir uns gemeinsam darauf geeinigt hatten, dass jeder selbst darüber entscheidet, was eine Belästigung sein kann und was nicht, sind in der gesamten Gruppe viele Beispiele aufgekommen. Alle waren sich einig, dass Belästigung am Arbeitsplatz mit einer Grauzone beginnt, die sich hauptsächlich in drei Kategorien unterteilen lässt:
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Blicke, die belästigen
In der Regel sind es leider Männer, deren Blick sich in einem Ausschnitt verfangen. Auch eine hochgezogene Augenbraue oder ein wissendes Grinsen wurden hier von meinen Teilnehmern genannt. Blicke können im Privaten mit einer vertrauten Person etwas sehr Schönes sein. Wenn Blicke im beruflichen Kontext aber »entkleidend« wirken, ist das in der Regel sehr unangenehm und zählt zu einer Form der Belästigung.
Worte, die belästigen oder beleidigen
Unter Männern fällt im Arbeits- oder Berufsleben gerne auch mal ein derberes / direktes Wort („Alter, geile Präsi!“). Gegenüber Kolleginnen ist ein „Hey Süße!“ allerdings schon mehr als grenzwertig. Auch wenn über nicht anwesende Personen gesprochen wird, kann es schnell beleidigend werden. „Die hat nicht nur im Job ihre Qualitäten!“
Berührungen, die belästigen
Aus meiner ganz eigenen Erfahrung kann ich hier berichten, dass ich nicht so »touchy« bin. Selbst unter Freunden ist mir das manchmal ein bisschen viel, mit Bussi links-rechts-links. Vor vielen Jahren ist mir im Job eine Kollegin begegnet, die dem gesamten Team gegenüber eher distanzlos war. Sie hat es bestimmt immer wohlwollend gemeint (häufig eine Hand auf der Schulter oder am Arm des Gesprächspartners). Mir ist das aber immer zu viel gewesen und ich habe darauf reagiert. Wie ich das gemacht habe, erfährst du weiter unten. Logisch, dass hiermit dann auch scheinbar zufällige Berührungen an Schulter, Bein, etc. gemeint sind.
Wie du auf Belästigungen am Arbeitsplatz souverän reagierst
Wenn du jetzt durch diesen Artikel (oder auch schon vorher) festgestellt hast, dass dir auch schon mal eine Belästigung am Arbeitsplatz widerfahren ist, rate ich dir folgenden Schritten zu folgen:
# 1 Situation anerkennen
Leider kommt es häufig vor, dass von Belästigungen betroffene Personen die entsprechende Situation bzw. das Verhalten der anderen Person relativieren. Mit Gedanken wie „er/sie wird es schon nicht so gemeint haben“ reden sich die Betroffenen die Situation anschließend so schön, dass sie eine Reaktion für übertrieben halten. Mein Tipp: Schreib die Situation in möglichst vielen (objektiven) Details auf.
Schreib gesagte Worte so auf, wie sie gesagt wurden und versuche Blicke oder Körperhaltungen so gut es geht zu beschreiben. Das ist zwar unangenehm, weil die Situation gedanklich nochmal durchlebt wird, hilft aber sich das objektive Verhalten vor Augen zu halten. Am Ende dieser Aufzeichnungen empfehle ich dir auch exakt zu beschreiben, an welchem Punkt, durch welche Handlung für dich die Grenze zur Belästigung überschritten war.
Wichtig ist: Es gibt dafür kein richtig / falsch. Belästigung ist, was für DICH zu viel ist! Solltest du dabei dennoch unsicher sein, kannst du mithilfe dieser Aufzeichnung auch mal die Einschätzung einer Vertrauensperson einholen.
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# 2 Keine Angst vor Konsequenzen
Ein weiterer Fehler im Umgang mit Belästigungen ist, die möglichen Konsequenzen einer direkten Ansprache vermeiden zu wollen. Viele Betroffene fürchten negative Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis, wenn beispielsweise der übergriffige Chef auf sein Verhalten angesprochen wird. Bei diesem Gedanken hilft dir, wenn du dein aktuelles Arbeitsverhältnis (inkl. der Belästigung) bewertest. Im Coaching nutze ich dafür gerne die berühmte Skalen-Frage. In den meisten Fällen wird schnell klar, dass ein Arbeitsverhältnis inkl. gelegentlicher Belästigungen selten höher bewertet wird, als mit 4–5.
Als nächstes kannst du dich dann noch fragen, wie viel schlechter dein Verhältnis zu der betroffenen Person noch werden kann. In der Regel lässt sich hier ebenfalls schnell feststellen, dass kaum Raum für eine weitere Verschlimmerung besteht. Ganz im Gegenteil. Es besteht durchaus eine Chance, dass der übergriffige Kollege /Chef/ Chefin »unbewusst« gehandelt hat und durch den Hinweis zu einem korrekten und respektvollen Verhalten zurückfindet. Sollte die Belästigung jedoch mutwillig gewesen sein, ist durch eine klare »NEIN-Position« auch klar, dass du sowas nicht mit dir machen lässt. Täter profitieren am meisten vom Schweigen der Betroffenen!
3. Klare Worte finden
Bist du durch die ersten beiden Schritte zu der Erkenntnis gekommen, dass es so nicht weitergehen kann / darf, dann gilt es jetzt aktiv zu reagieren? Egal ob unbewusst oder ganz gezielt, die Verhaltensmuster einer Belästigung am Arbeitsplatz sind häufig gleich. Das heißt, du kannst dich also schon fast darauf einstellen, dass die übergriffige Person ihr grenzüberschreitendes Verhalten in sich immer ähnelnden Situationen zeigen wird. Und genau für eine dieser Situationen gilt es jetzt klare Worte zu finden, die deutlich machen, dass für dich gerade eine Grenze überschritten wurde.
Meine Empfehlung ist, hier keine großen Reden oder Sätze aus Schlagfertigkreisratgebern zu nutzen. Besser sind klare, kurze Aussagen, wie: „NEIN, mag das nicht! Ich brauche mehr Platz! Bitte gehen Sie einen Schritt zurück! Behalten Sie Ihre Hände bei sich! Finger weg!“
Mit einer festen Stimme und einem bestimmten Blick sind diese Sätze in der Regel schon sehr wirksam. Damit dieser eine Satz auch wirklich überzeugend funktioniert, rate ich dir, ihn zu Hause mindestens 10-20x vor dem Spiegel oder mit einer Vertrauensperson zu üben.
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Fortsetzung Praxisbeispiel
Nachdem mich die Kollegin in der Kantine (vor Kollegen) am Unterarm berührt und leicht »gestreichelt« hat, habe ich im festen Ton und mit strengem Blick „Nimm deine Hand weg!“ gesagt. Diese Aussage hatte ihre Wirkung sogar etwas übertroffen: Die Kollegin und noch ein paar weitere Kantinengäste haben meine Reaktion mitbekommen und saßen mit offenem Mund da. Nach einer Schreckenssekunde hat sich meine Kollegin verdrückt und die Beteiligten haben sich schnell in Pseudo-Gespräche begeben. Zugegeben, mein Verhältnis zur besagten Kollegin ist danach etwas frostig und distanziert gewesen. Aus meiner Sicht war das aber durchaus mehr in meinem Sinne, als ständig angefasst zu werden.
#4 Standhaft bleiben und Druck aufbauen
Nachdem du dein Gegenüber mit fester Stimme in die Schranken verwiesen hast, verhalten sich die Täter(innen) häufig taktisch besänftigend. Sie versuchen, ihr Verhalten zu relativieren und dich und deine Reaktion als hysterisch und unangemessen darzustellen. Sätze wie „Sie stellen sich ja an, das war doch nur ein ganz normales Kompliment! Sie sind ja empfindlich ... sonst sind sie doch viel professioneller!“ sind nichts Ungewöhnliches. Mein Tipp: Bleib bei deiner Aussage, die du im Zweifelsfall einfach nochmal wiederholst.
Gerne auch mit dem Zusatz: „Ich bin professionell. Deshalb notiere ich mir kurz, was gerade passiert ist!“ Damit sind wir auch schon beim zweiten Tipp: Beginne möglichst in der Situation eine Notiz anzulegen. Das darf der Täter gerne mitbekommen. Damit zeigst du deutlich, dass dieses Verhalten aus deiner Sicht kein Kavaliersdelikt ist. Außerdem ist eine Mitschrift der Tat ist in der nächsten Eskalationsstufe sehr hilfreich.
# 5 Gezielt eskalieren
Wenn sich das Verhalten der Person nach einer direkten Ansprache nicht ändert, gilt es den nächsten Schritt zu gehen. Für eine gezielte Eskalation gilt es, den eigenen Chef bzw. die nächsthöhere Führungsebene anzusprechen. Das Ziel muss sein, dass eine höhere Instanz dem/r Täter/in klarmacht, dass Belästigungen am Arbeitsplatz nicht geduldet werden. Und genau für diesen Schritt ist deine Notiz der Tat sehr hilfreich. Damit kannst du den Ablauf der Belästigung besser beschreiben und verhedderst dich vor Aufregung nicht in Widersprüche, die am Ende deiner Glaubhaftigkeit schaden. In meiner aktuellen Podcastfolge habe ich dir noch ein paar Tipps für die »richtige« Eskalation zusammengestellt. Du findest sie hier oder bei Apple Podcast .
Schweigen ist der schlimmste Fehler
Mir ist durchaus bewusst, dass dieses Thema zwischen den ganzen Karriere-Beiträgen wie ein Schlag mit der "Ernsthaftigkeitskeule" wirkt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auf Karrierewegen hart gekämpft wird. Nichts gegen einen fairen Schlagabtausch oder einen harten Kampf um eine Beförderung. Was aber weder in der Arbeitswelt noch im privaten Leben Platz haben darf, ist die widerliche Übergriffigkeit, die Belästigungen mit sich bringen. Wenn ich einen Wunsch für die Welt hätte, würde ich mir wünschen, dass sich die Menschen gegenseitig nicht mehr verletzen.
Aber solange Aladin nicht zu mir kommt, muss jede(r) Einzelne sich entschlossen gegen die Menschen auflehnen, die unbewusst oder bewusst Grenzen überschreiten. Und dies gilt sowohl für das Arbeits- als auch das Privatleben. Ich wünsche jedem/r von euch den Mut und die Kraft, sich gegen Belästigungen am Arbeitsplatz (und im Privatleben) zu wehren. Zeigt diesen Menschen, dass sie nicht machen können, was sie wollen – Erst recht nicht mit DIR! Mit besten Grüßen Henryk
PS: Häufig ist eine schwammige und unpräzise Kommunikation ein Hindernis. Du glaubst zwar deutlich und klar gesagt zu haben, dass dir etwas zu viel ist... doch angekommen ist nur die halbe Botschaft.
In meinem Seminar: »ERFOLGREICH KOMMUNIZIEREN – Die Kunst des Zuhörens und Überzeugens« zeige ich dir die wichtigsten Techniken, um deine Botschaft absolut klar und verständlich zu vermitteln.
Hast du bereits Erfahrungen mit Belästigung am Arbeitsplatz gemacht?
Schreibe mir gerne eine Nachricht bei Xing oder LinkedIn, welche Tricks du angewendet hast, um unliebsame Belästigungen aus dem Weg zu räumen.
Beste Grüße
Henryk Lüderitz